„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Wenn sich Japan diese Frage stellen würde, könnte die Antwort lauten: vier große und Tausende kleine. Denn die ostasiatische Inselnation besteht aus vier Hauptinseln – Hokkaido, Honshu, Shikoku und Kyushu – und fast 7000 weiteren Eilanden, von denen jedoch nur rund 430 bewohnt sind. Aber selbst wenn man auf der größten Insel Honshu bliebe, könnte man glauben, gleich mehrere Länder und Klimazonen zu durchqueren. Während die dem Japanischen Meer zugewandte Seite viel Schnee abbekommt und klimatisch Deutschland ähnelt, hat die Pazifikseite eher Mittelmeerflair. Die Sommer dort sind feucht-schwül – vor allem in den Betonwüsten von Tokio und Osaka –, die Winter sonnig und angenehm mild mit Temperaturen, die kaum unter den Gefrierpunkt fallen. Noch einmal ganz anders sind die Amami- und Okinawa-Inselketten, wo Japan seine im Ausland kaum bekannte subtropische Seite zeigt. Durchschnittlich 23,5 Grad im Jahr, weiße Sandstrände und türkisblaues Meer können sich dort sehen lassen.
Doch das auffälligste Merkmal an Japan ist eines, das man sich im Großstadtdschungel kaum vorstellen kann: Vier Fünftel der Landfläche bestehen aus Bergen, darunter viele schlafende, aber auch über 100 aktive Vulkane. Der bekannteste ist zugleich der höchste: der 3776 m hohe Fuji – ein Symbol Japans und in der japanischen Naturreligion des Shintoismus als heilig verehrt. 1707 brach er zuletzt aus. 1923 zerstörten ein schweres Erdbeben und nachfolgende Brände Tokio – ein Schicksal, das 1995 auch Kobe ereilte. Die Pazifikküste wurde im vergangenen Jahrhundert nach Unterseebeben mehrfach von Tsunamis heimgesucht. In Japan lernen schon Kinder, wie man mit den Gefahren der Natur umgeht. Und das ganze Volk – und einige Affen dazu! – nutzt mit Leidenschaft die positive Seite seiner schwierigen Geologie, nämlich die vielen heißen Quellen.
Dem Klischee nach sind japanische Wohnungen winzig. Fährst du jedoch aufs Land, siehst du dort riesige Bauernhäuser aus Holz und mit schweren Ziegeldächern, in denen mehrere Generationen Platz haben. Allerdings ist der typische Wohnraum in Tokio deutlich kleiner. „Tokio ist so hektisch, da sind so viele Leute!“, sagen Japans Provinzbewohner, die ihrerseits in kleinen Siedlungen und eingeschworenen Gemeinschaften leben (denn Reisanbau ist Teamarbeit!) und Landwirtschaft oder Fischfang betreiben. Während auf dem Land viele das essen, was sie im eigenen Garten anbauen, gehen die Städter oft auswärts essen oder holen sich Fertiggerichte aus rund um die Uhr geöffneten Convenience Stores.
Das Heer der salarymen und zunehmend auch salarywomen, wie in Japan Angestellte genannt werden, dominiert das Straßenbild. Dunkle Anzüge mit Hemd und Krawatte sind für Männer Pflicht – außer im schwülen Sommer zur cool biz- Zeit –, für Frauen heißt der Dresscode Kostüm und High Heels. Sich ohne professionell manikürte Fingernägel oder gar ohne Make-up ins Büro zu wagen gilt als Fauxpas. So schick alle aussehen, so wenig Effekt scheint das auf das andere Geschlecht zu haben. Die Eheschließungen gehen zurück und das Heiratsalter ist inzwischen wie in Europa auf über 30 gestiegen. Vor allem auf den Dörfern herrscht Frauenmangel. Was beim Anbandeln auch nicht hilft, sind extrem lange Arbeitszeiten bis in die Nacht. Hinzu kommen Pendelzeiten von einer Stunde und mehr.
Die Politik will Japan, das bereits jetzt eine super-aging society ist, wieder verjüngen. Sie versucht Anreize für Familien zu geben, finanziell und durch mehr Kinderbetreuung. Außerdem appelliert sie an die Wirtschaft, Frauen mehr zu fördern – schließlich werden ja Arbeitskräfte gebraucht, und Immigration ist für Japan, das sich als homogen betrachtet, ein heikles Thema. Seit dem Zweiten Weltkrieg beherrschen die konservativen Liberaldemokraten die Politik, deren Orientierung sich in den vergangenen Jahren unter Premierminister Shinzo Abe zunehmend nach rechts verlagert hat. Und was ist nun mit den Geishas, Ninjas und Samurai, mit Cosplay, Maid-Cafés und Pokémon? Auch dieses Japan gibt es. Freu dich jeden Tag über neue Entdeckungen und Überraschungen, und fang schon mal an zu sparen: Wen der Japan-Virus einmal gepackt hat, der wird ihn so schnell nicht mehr los.